Der Reiz des Neuen

nachtkritik.de: Sie inszenieren fast ausschließlich zeitgenössische Dramatik. Vor allem Stücke von Philipp Löhle, aber auch Martin Heckmanns, Mario Salazar, Claudia Grehn oder eben Anne Leppers "Seymour". Macht es einen Unterschied, ein Theaterstück ur-, zweit- oder drittaufzuführen?

Dominic Friedel: Ja und Nein. Ich lese erstmal den Text, den ich inszeniere. Unabhängig von Ur- oder Zweitaufführung bleibt das immer die gleiche Arbeit. Bei den Proben vertiefe ich dann mit den Schauspielern, was mir und uns dazu einfällt. Der entscheidene Moment kommt eher während der Proben, wenn wir uns fragen, wie sich unsere Ideen zum Text verhalten. Bei einer Uraufführung ist die Erwartung sicher größer, dass der Text so gemacht werden soll, wie er dasteht - wobei ich eigentlich gar nicht weiß, wie genau das überhaupt möglich wäre, da durch jeden individuellen Leser und dessen Interpretation beim Lesen ein unterschiedlicher Text entsteht. Für mich liegt der Unterschied eher darin, dass ich meistens bei der Zusage zu einer Uraufführung den Text noch nicht kenne, weil der Autor noch daran schreibt. Andererseits ergibt sich dadurch natürlich die Gelegenheit, mit dem Dramatiker noch während des Schreibprozesses über meine Gedanken zu seinem Werk zu sprechen oder ihn auch in unsere Erfahrungen im Probenprozess einzubeziehen.

nachtkritik.de: Gibt es bei einer Zweitaufführung als Konsequenz eine bewusstere Entscheidung für den Text, für seine Qualitäten? Wie war das bei "Seymour"?

Dominic Friedel 250 christiankleiner uDominic Friedel © Christian KleinerDominic Friedel: Bei "Seymour" war es in der Tat so, dass ich das Stück gerne inszenieren wollte und mit dem Wunsch in Bern eine schon sehr offene Tür eingerannt bin.

nachtkritik.de: Haben Sie sich die Uraufführungs-Inszenierung angeschaut?

Dominic Friedel: Ich hätte diese Inszenierung gerne gesehen als sie herauskam, allerdings wusste ich damals noch gar nicht, dass ich mich selbst mal mit dem Stück beschäftigen werde. Während der Vorbereitung hatte ich zwischendurch eine große Sehnsucht, die Sprache gesprochen zu hören und vielleicht schon vor Probenbeginn ein Gefühl zu bekommen, ob sie beim Hören das Gleiche macht mit mir wie beim Lesen. Hat dann aber nicht geklappt. Bei dem letzten Stück von Philipp Löhle "Wir sind keine Barbaren" hab ich mir wiederum die Uraufführung bewusst nicht angeschaut. Ich kannte den Text schon ganz gut und habe zu Philipps Stücken irgendwie langsam ein Grundgefühl entwickelt. So kam in diesem Fall das Bedürfnis gar nicht auf, das Stück vor meiner eigenen Inszenierung zu sehen.

nachtkritik.de: Ihre Inszenierung nutzt Fatsuit-Kostüme, die ähnlich, wenn auch noch realistischer in Claudia Bauers Uraufführung auftauchen. Provoziert der Text, dass man auf solche Lösung kommt?

Dominic Friedel: Kann hier tatsächlich so sein, vielleicht. Beim ersten Lesen hatte ich das Gefühl, dass es gar nicht ums Dicksein geht, sondern das als Folie für einen allgemeineren Zustand benutzt wird. Wie gehe ich mit einer Welt um, in der ich dünner werden soll auf eine Art, mit der das offensichtlich gar nicht funktionieren kann? Eine grundsätzlich absurde Situation, ich renne etwas hinterher auf eine Art, mit der ich das nie erreichen kann. Die Abnehmstation, auf der nichts passiert, was das Abnehmen unterstützt, erscheint mir als Metapher für Leben in einer sinnlosen Welt. Also war mein erster Gedanke: Auf keinen Fall Fat-Suits! Da kam dann aber ziemlich schnell ein zweiter Gedanke hinterher: Wenn wir uns beim Proben ständig Gedanken machen müssen, wie wir szenisch übersetzten, dass die Schauspieler dicke Kinder spielen, geht mir beim Proben viel zuviel Energie verloren für etwas worum es ja eigentlich gar nicht geht. Das Bild zu bedienen, erschien mir hier sinnvoller. Zusammen mit meiner Kostümbildnerin Senta Amacker haben wir uns dann allerdings für so überzeichnete Fat-Suits entschieden, dass wir nicht in einem vermeintlichen Realismus hängenbleiben. Gleichtzeitig bieten diese sehr voluminösen Fatsuits den Schauspieler einen erheblichen körperlichen Widerstand. Dass ihre Körper einfach nicht funktionieren, wie siees aus dem Leben kennen, war ein wichtiges Element des Probenprozesses.

nachtkritik.de: Die Kostüme, die abstrakte Stimme am Anfang, die abstrakte Bühne bieten auch Gefahren, dass man zu derb oder zu selbstrefentiell wird. Wie geht man denen aus dem Weg?

Dominic Friedel: Ich glaube, solchen "Gefahren" grundsätzlich aus dem Weg gehen wollen, ist beim Proben leider ziemlich impuls-hemmend. Ich vertraue da sehr meinen Dramaturgen oder den anderen Menschen vom Theater, die dann an einem späteren Probenzeitpunkt einen Blick auf das, was wir gefunden haben, werfen und uns Hinweise geben, ob wir zu derb oder selbstreferentiell geworden sind. Diese Beschreibungen versuche ich dann sehr ernst zu nehmen und damit im weiteren Probenprozess umzugehen. Wir versuchen halt irgendwie ein Gleichgewicht finden, dass wir einen Text irgendwann ziemlich gut kennen, der für die Zuschauer meist völlig neu ist. Diesbezüglich unterscheiden sich Uraufführung und Zweitaufführung für mich allerdings überhaupt nicht.

nachtkritik.de:  Warum inszenieren Sie eigentlich keine klassischen Stücke, sondern konsequent nur zeitgenössische Dramatik?

Dominic Friedel: Ehrlich gesagt, nehme ich das gar nicht so war. Denn ein paar klassische Stoffe habe ich ja schon auch inszeniert. Allerdings beschäftige ich mich in der Tat schon viel mit neuen Texten. Das ergibt sich, viele Theater haben den Wunsch nach zeitgenössischer Dramatik und ich werde vielleicht danach gefragt, weil es ja scheinbar so wirkt als würde ich eben nur neue Texte inszenieren. Das ist also keine bewusste Wahl von mir. Aber grundsätzlich nehme ich gerne Impulse auf, mich mit etwas zu beschäftigen. Es müssen nicht immer Stoffe sein, die ich schon immer inszenieren wollte, denn da sehe ich ein bisschen die Gefahr vorher schon zu wissen, was hinten rauskommt. Und für mich ist es irgendwie schon das wichtigste in dem Proben mit der Gruppe zusammen etwas herauszufinden, was wir vorher noch nicht so denken konnten.

nachtkritik.de: Es wird viel darüber diskutiert, wie zeitgenössisches Autorentheater zukünftig aussehen kann, welchen Stand es eigentlich hat. Wie sehen Sie das als Theatermacher, der zeitgenössische Dramatik inszeniert?

Dominic Friedel: Mit meiner Arbeit bei den Proben hat diese Debatte eigentlich nichts zu tun. Zumindest versuche ich mich dabei davon frei zu machen. Ich finde, es ist ja grundsätzlich sinnvoll sich zu fragen, wo sich etwas hinentwickeln sollte oder was bewahrt werden muss. Aber das Tolle an Theater (sowohl in Proben als auch in den Vorstellungen) ist doch, dass sich im gelungenen Fall etwas ereignet, weswegen mein Blick auf mich, oder die Welt um mich herum, danach ein anderer ist. Wenn in meinem Kopf ständig die Frage mitlaufen würde, wie ich mich jetzt mit den Ideen, Gedanken, Impulsen beim Proben in dieser Debatte positioniere, dann wäre das wie ein Störsignal für meine Antennen, mit denen ich versuche genau jene Momente wahrzunehmen, in denen sich etwas ereignet.

Das Gespräch führte Simone Kaempf.

 

 

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