Das Spiel ist der Prüfstein

nachtkritik.de: Lieber Herr Hartnagel, "zu jung zu alt zu deutsch" von Dirk Laucke wurde schon 2009 mit einigem Erfolg in Osnabrück uraufgeführt, dann wurde es eher ruhig um das Stück. Weitere, kaum beachtete Inszenierungen gab es in Memmingen, in Schwerin und an einer privaten Schauspielschule in München. Wie stößt man fünf Jahre nach der Uraufführung auf ein solches Stück? Wurde es Ihnen empfohlen?

Nick Hartnagel 250 Katrin RibbeNick Hartnagel © Katrin RibbeNick Hartnagel: Da ich Dirk Laucke als Autor schon länger sehr schätze, habe ich immer wieder in seinen Theaterstücken gestöbert – auch in den weniger bekannten. "zu jung zu alt zu deutsch" erschien mir sowohl in seinem thematischen Zugriff als auch in seiner formalen Konstruktion als eines seiner stringentesten und spannendsten Texte. Wohl hatte auch das Schauspiel Hannover das Stück schon länger auf dem Tisch liegen und so verband uns das gemeinsame Interesse.

nachtkritik.de: Nach der Uraufführung konnte man lesen, dass ein Stück wie dieses – in welchem auf verschachtelte Weise das Verhältnis der heutigen deutschen Gesellschaft zu ihrer Vergangenheit thematisiert wird – "einmalig wichtig" sei. Haben Sie ein Erklärung dafür, vielleicht aus dem Betrieb heraus, warum eine so dankbare Vorlage trotzdem nicht häufiger von den Bühnen aufgegriffen wird?

Nick Hartnagel: Ich befürchte, für die meisten Theater gibt es nur zwei Gründe, ein aktuelles Stück nach seiner Uraufführung erneut zu spielen. Entweder sie hoffen darauf, dass sich aus einer so zustande kommenden Beziehung mit dem Autor in Folge dann eine Uraufführung am eigenen Theater verwirklichen lässt. Oder ein Stück ist dermaßen durchs Feuilleton gefegt, dass man meint, Geschmack und Zeitgeist zu beweisen, indem man es im heimischen Spielplan auftauchen lässt. Ist das nicht der Fall, überwiegt meist die Angst, branchenintern mit einer Zweitaufführung zu wenig wahrgenommen zu werden und in der Stadt vor Ort kein Publikum zu finden für ein Stück mit einem unbekannten Titel.

nachtkritik.de: Fühlt es sich für Sie unterschiedlich an, ob Sie eine Uraufführung oder eine "nachgespielte" Aufführung inszenieren?

Nick Hartnagel: Vielleicht fühlt man sich beim Inszenieren eines bereits uraufgeführten Textes etwas befreiter. Eine erste Umsetzung hat natürlich immer den konkreten Auftrag, das geschriebene Wort neben der Regie deutlich sichtbar zu halten. Ist das einmal erfolgreich geschehen, ist das Spannende an den weiteren Bühnenumsetzungen ja – auch für den Autor übrigens –, was sich aus diesem Ausgangsmaterial alles noch machen lässt. Verschiedene Künstler, andere Orte – und vor allem: auch die Zeit vergeht ja. Ein fünf Jahre altes Stück kann je nach Thematik schon wieder eine mutigere Neubearbeitung vertragen.

nachtkritik.de: Haben Sie bei einer Uraufführung normalerweise Kontakt zum Autor – und wie ist das beim Nachspielen?

Nick Hartnagel: Bei Uraufführungen ist der Kontakt eigentlich üblich, beim "Nachspielen" zumindest möglich. Ob ich die Begegnung vor der Premiere suche, hängt ein wenig von meiner Beziehung zum Stoff ab. Brennen mir noch Fragen auf der Zunge bzw. habe ich konkrete Vorschläge? Oder habe ich das Gefühl, ich verstehe das Spielangebot des Autors schon sehr gut und denke mir: Jetzt möchte ich daraus was Eigenes basteln.

nachtkritik.de: Haben Sie die Uraufführung von "zu jung zu alt zu deutsch" gesehen?

Nick Hartnagel: Nein, habe ich nicht.

nachtkritik.de: Spielt es für Sie bei Ihrem Zugriff eine Rolle, dass bestimmte Wege der Regie schon eingeschlagen worden sind? Es ist zum Beispiel auffällig, dass Sie in Ihrer Aufführung das Farcenhafte, das in Lauckes Stück auch schon herausgestellt wurde, zurückdrängen. Anstatt auf eine szenische Groteske mit Nazi-Symbolen und allem Drum und Dran setzen Sie ja auf eine komplett reduzierte Szene …

Nick Hartnagel: Nein, ich kann mir auch nicht vorstellen, dass andere Regiekollegen das machen. Man kann eine Regiehandschrift ja nicht aus reiner Opposition heraus entwickeln. Ich glaube, würde ich eine Aufführung eines Textes sehen, die sich in ihrer Umsetzung deutlich mit meinen eigenen Vorstellungen überschneidet, könnte das ein Grund sein, lieber die Finger davon zu lassen. Der Spaß ist natürlich größer, wenn man das Gefühl hat, gerade etwas Neues zu entdecken.

nachtkritik.de: Lauckes Sprache ist bekannt dafür, dass sie sehr realistisch und milieugesättigt ist. Hat es Sie nicht gereizt, nicht nur die Bühnensituation, sondern auch das Sprachliche formaler zu handhaben und aus dem Realismus herauszuführen? Oder wäre das schlicht inadäquat?

Nick Hartnagel: Ich antworte jetzt mal ein wenig ideologisch. Das Theater legitimiert für mich seine Behauptungen und Schlüsse durch das Spiel. Der Spielbegriff ist sozusagen das Beweisverfahren und der Prüfstein meiner Thesen und meiner Haltungen als Regisseur. Mit Theatermitteln lässt sich formal natürlich jede Behauptung aufstellen, aber erst wenn die Schauspieler auf der Bühne sie spielerisch durch ihre Unmittelbarkeit, ihre Reaktionen und Impulse überprüfen, interessiert sie mich. Das fordert, wenn man so will, eine Art "Realismus", der beispielsweise bei einer rein rhythmischen künstlichen Sprachbehandlung nicht möglich ist. Und gerade Lauckes Sprache zeichnet sich meiner Meinung nach durch ihre Lebendigkeit und Lebensnähe besonders aus.

nachtkritik.de: Gibt es bei Ihnen als Regisseur so etwas wie eine Angst, den Autor – der ja in einem Fall wie "zu jung zu deutsch zu alt" noch höchst lebendig ist und auch reagieren kann – zu verraten bzw. ihn zu verfehlen?

Nick Hartnagel: Vorausgesetzt ich habe mir den Stoff selbst aussuchen können, bin ich beim Inszenieren eigentlich immer fest davon überzeugt, absolut im Sinne des Autors/der Autorin zu handeln. Ich wähle ja keinen Stoff mit der Absicht, ihn zu pervertieren. Aber gelegentlich irrt man sich sicher auch in seiner Überzeugung und bekommt die Konsequenzen dann beim Premierensekt zu spüren.

Das Gespräch führte Wolfgang Behrens.

 

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