Zu viele Leichen

von Matthias Weigel

Heidelberg, 3. Mai 2015. Beim Schlussapplaus kommen den mexikanischen Schauspielerinnen und Schauspielern die Tränen. Plötzlich bricht hervor, wie ernst und dringlich es ihnen ist. Das Publikum in Heidelberg drückt mit seinem Klatschen sicher auch seinen Respekt davor aus, unter welchen schwierigen Umständen des weitverbreiteten organisierten Verbrechens die mexikanischen Künstler leben müssen.

Mendoza2 700 Zaba Zantcher uMacbeth in Mexiko © Zaba Zantcher

Man kann sich ausmalen, welche Reaktionen dieses Stück erst in Mexiko hervorrufen mag. "Mendoza" heißt diese Adaption von Shakespeares "Macbeth", und die Protagonisten sind keine englischen Monarchen, sondern Generäle der mexikanischen Revolution. Bis auf diese Personal- bzw. Namensänderungen und einige "Chingadas" und "Cabrónes" im Text bleibt der Plot weitgehend erhalten. Macbeth/Mendoza will über die Weissagung von Hexen hinaus immer mehr Macht – und geht dabei über Leichen, am Schluss sind es zu viele.

Erahnter Referenzrahmen

Mit pathetischer Inbrunst werfen sich die Schauspieler nah am Publikum in ein typisches Shakespeare-Tod-Intrigen-Drama. Als Mendoza die Familie des ihm nahestehenden Aguirre (Banquo) ermorden lässt, ist klar, dass es hier in Mexiko sofort auch um die vielen Verschleppten und Verschwundenen im Zusammenhang mit dem organisierten Verbrechen geht. Und als sich im Stück die Toten häufen, zählen alle Schauspieler einmal plötzlich zusammen bis 43 – die Anzahl der ermordeten Studenten von Ayozinapa.

Beim Gastspiel im beschaulichen Heidelberg kann dieser Referenzrahmen freilich nur erahnt werden. Wenn am Schluss Mendoza zur Rechenschaft gezogen wird und Zuschauer aus der kleinen Arena Mendoza stellvertretend mit Blut besudeln "dürfen", ist das in Mexiko sicher eine spektakuläre Geste der Ermutigung, der Aufforderung zur Selbstermächtigung.

Ein seltener Moment der Nähe

Dass sich in Deutschland das Gastspiel mitunter arg zieht, liegt daher auch an dieser Kontextverschiebung. Weder die mexikanische Revolution des frühen 20. Jahrhunderts ist hierzulande geläufig, noch ist die zweite Übertragung – nämlich auf eine heutzutage anstehende Revolution – so einfach herauszulesen. Da reichen in Mexiko sicher Formulierungen, Anspielungen, kleine Tupfer, um kollektive Bilder und Erfahrungen anzusprechen. Diese Kraft ist beim Gastspiel in Deutschland erst am Ende beim Applaus zu erahnen. Dann aber sind auch im Publikum viele Augen nass. Ein seltener Moment der Nähe, der Gemeinschaft. Und eine Vorstellung davon, wie dringlich der Theatergruppe ihr Anliegen ist.

 

Mendoza
von Antonio Zúñiga und Juan Carrillo
Gastspiel Los Colochos Teatro
Regie: Juan Carrillo, Kostüme: Libertad Mardel, Masken: Martín Becerra, Licht: Mario Eduardo D'León, Musik: Lalo Laredo, Roam León.
Mit: Martín Becerra, Mónica del Carmen, Erandeni Durán, Leonardo Zamudio, Marco Vidal, Germán Villareal, Ulises Martínez, Alfredo Monsivais, Yadira Pérez.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

 

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