Hilfe! Hier sind Kinder drin!

von André Mumot

30. April 2015. Langsam, aber sicher nähert er sich der Zielgeraden, der diesjährige Stückemarkt. Man kann also schon auf einiges zurückschauen und sich an allerhand Verblüffendes erinnern: an einige sich fabulös verwandelnde Schauspieler- und Schauspielrinnengesichter zum Beispiel. Da ist Stefanie Reinsperger zum somalischen Piraten mit dickem Wiener Akzent geworden und Sandro Tajouri zum verzweifelt gewalttätigen Totalproleten. Anette Büschelberger hat als perfekte Elfriede-Jelinek-Imitation auf der großen Bühne gestanden – und jetzt kommt Roland Wolf mit einer nicht minder staunenswerten Metamorphose im kleinen Zwinger hinzu.

DiePrinzessinundderPjaer1 700 David Baltzer hAlessa Kordeck, die Prinzessin, und Roland Wolf, der Pjär © David BaltzerEs ist immer heikel, wenn Erwachsene Kinder spielen, ihre Blicke, Gesten, Worte nachäffen – vor allem, weil das eigentliche Zielpublikum alle Anbiederungsversuche sofort durchschaut. Wolf aber ist, sobald er den Kopf unter seiner Kapuze hervorschiebt und sich verstohlen umsieht, ein einschränkungslos glaubwürdiger Zehnjähriger. Als "Schulversager Pjär" tapst er linkisch und mit großen Augen in ein schlicht nachgebautes Schulklo, wo er seine versemmelte Mathearbeit in die Kanalisation hinunterspülen will. Es ist ein entwaffnendes, offenes, klares Gesicht, das hier ins Publikum späht, das Gesicht von einem, der schon weiß, dass da noch viele Klassen und viele Probleme auf ihn zukommen werden. Weil da kein Licht ist am Ende des langen Schultunnels, flüchtet er sich und leidet verkniffen, träumt sich weg und strahlt hoffnungsvoll, und dann wirft er sich weinend auf den Boden: "Wenn ich erwachsen bin, muss ich Penner werden."

Wie wäre es, eine Andere zu sein?

Wie es der Theaterzufall in Milena Baischs munterem Kinderstück so will, wird er dann ausgerechnet am stillen Örtchen zusammen mit Musterschülerin Lisa (ebenfalls eine Freude: Alessa Kordeck) eingeschlossen und entwickelt ungeahnte Tatkraft. "Hilfe! Hier sind Kinder drin!" schreibt er auf eine Rolle Klopapier, die er am Fenster auswickelt. Dumm nur, dass bereits das Wochenende angebrochen ist und es sein kann, dass die beiden eine ziemlich lange Zeit aufeinander hocken müssen.

Konfliktstoff für ein echtes Grips-Theater-Modellstück also, das auf freundlich warme Weise und mit ein bisschen Musik und kurzen Ausflügen in verspielte Fantasiewelten wie im Flug vergeht – vor allem, als erst einmal klar ist, dass nicht nur der arme Pjär so gerne einmal die Einsen von "Prinzessin Schleim" mit nach Hause bringen würde. Nein, auch das Geige spielende Vorzeigemädchen sehnt sich danach, mal eine schlechte Note einzusacken und "von den Eltern ausgeschimpft" zu werden. Als sie es allerdings drauf anlegt und absichtlich einen Aufsatz verhaut, schimpft die Mutter nicht mit ihr, sondern nur mit der Lehrerin, weil sie die Genialität ihrer Tochter einfach nicht erkennt.

Voller Zukunftslust

Es sind also durchaus lebensnahe Momente aus dem Schülerleben, die Regisseurin Grete Pagan zwischen zwei Waschbecken entfaltet, allerdings auffällig zahm und ohne größere soziale Problemzuspitzungen. Es ist wohl die sensible Leichtigkeit, die diesem Kooperationsgastspiel den Mühlheimer KinderStückePreis 2014 eingebracht hat, das Vertrauen darauf, dass es (zumindest im Theater) manchmal ganz einfach sein kann, sich näherzukommen und Verständnis für die Nöte anderer zu zeigen. Am Ende, als die Klotür sich wieder geöffnet hat, reichen sich die Prinzessin und der Pjär jedenfalls die Hände und sind so jung und offen und voller Zukunftslust, dass man kaum glauben kann, dass die, die da vorn den Applaus entgegen nehmen, tatsächlich älter sind als zehn.

 

Die Prinzessin und der Pjär
von Milena Baisch
Gastspiel Grips Theater Berlin
Regie: Grete Pagan, Bühne und Kostüm: Lena Hinz, Musik: David Pagan, Dramaturgie: Kirstin Hess.
Mit: Alessa Kordeck, Roland Wolf.
Dauer: 1 Stunde, keine Pause

www.grips-theater.de

 

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