Eine unheimlich coole Art, Kapuzenpullover zu tragen

von André Mumot

Heidelberg, 27. April 2015. Dass der Stückemarkt jetzt in die nächste Runde geht und somit auch die Zeit der JugendStückePreis-Nominierten angebrochen ist, merkt man gleich. Daran, dass die Aufführung schon Vormittags um elf beginnt zum Beispiel. Oder daran, dass vorm Zwinger eine Lehrerin steht und ihren Schülerinnen und Schülern mit strenger Stimme zuruft: "Jetzt will ich sehen, wie ihr alle eure Handys ausmacht! Alle!" Und schon ist man mittendrin in der Theaterpraxis für die Generation Immer-Online, die man ja angeblich da abholen muss, wo sie sich bewegt: im Netz. Twitternd. Chattend und so weiter.

Boy meets girl

Doch was das Junge Ensemble Stuttgart hier mitgebracht hat, ist dann keineswegs darum bemüht, auf Teufel komm raus hip und heutig zu sein. "100 m" von Ralf N. Höhfeld, ausgezeichnet übrigens mit dem Jugendtheaterpreis Baden-Württemberg 2014, ist ein Stück, das sogar ein wenig aus der Zeit gefallen zu sein scheint, schließlich geht es davon aus, das Teenager-Mädchen von heute für einen Greis wie Brad Pitt schwärmen und Jungs ausgerechnet Whitney Houstons 80er-Oldie "I wanna dance with somebody" als persönliche Sehnsuchtshymne wählen könnten.

100m2 700 Karolin Back uEin Abstrampeln ist das im Sport wie in der Liebe: Nils Beckmann und Franziska Schmitz © Karolin Back

Es wird auch nicht gechattet, es wird gelaufen. Weil die junge Heldin gern den Rekord über 100 Meter knacken würde und deshalb auch nicht ganz so viel Zeit hat, sich der Liebesgeschichte zu widmen, die hier erzählt wird. Vielleicht hat sie aber auch nur zu viel Angst vor all den ungeahnten Konsequenzen, was ja durchaus verständlich wäre. Auf den blauen Laufbahnen und vor einigen flirrenden Musterprojektionen jedenfalls entwickelt sich ein Boy-meets-Girl-Konstrukt, das, ganz oberflächlich betrachtet, die allzu vertraute Konstellation wiederholt, dass er gerne mit ihr ins Bett will, sie sich aber ziert, obwohl sie sich mächtig verschossen hat.

Linkische Katastrophe der ersten Anmache

Franziska Schmitz und Nils Beckmann gestalten die Überforderungen der ersten Liebe allerdings mit sympathischer Verve und ackern sich mit Witz und glaubwürdiger Sensibilität durch all die komplizierten Stadien des frühen Beziehungslebens. Nach der linkischen Katastrophe der ersten Anmache ("Du hast eine unheimlich coole Art, Kapuzenpullover zu tragen") kann er sich jedenfalls kaum noch auf sein Referat "über die hohe Jugendarbeitslosigkeit in den südeuropäischen Krisenländern" konzentrieren, während sie immer geschwinder auf ihre persönliche Bestzeit zurast.

Sie tauschen die Pullover und schmachten einander an, sie gehen sich auf den Keks und wissen nicht weiter. Er isst Nutella aus dem Glas, sie probiert High Heels an, und beide begreifen, dass es nicht leichter werden wird: "Wann haben wir das erste Mal mit einander geschlafen?", fragt sie. "Nächsten Freitag?", bietet er hoffnungsvoll an. Sympathisch ist das alles sehr, vor allem, weil am Ende des sportiven Kräfte- und Gefühlemessens gar nicht klar ist, ob es klappt mit den beiden, und wenn wie. In jedem Fall aber hat die Generation Online sich das recht zufrieden eine muntere Stunde lang angeschaut, die Handys ausgelassen und sich vielleicht im Stillen höchstens mal gefragt: "Wer steht denn heute noch auf Brad Pitt?"

 

100 m
von Ralf N. Höhfeld
Regie: Christian Müller, Bühne und Kostüm: Jeannine Simon, Dramaturgie: Franziska Finke.
Mit: Nils Beckmann, Franziska Schmitz.
Dauer: 1 Stunde, keine Pause

JES Junges Ensemble Stuttgart

 

Zum Essay über die Jugendstücke

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