Der Markt und seine Helden

von Wolfgang Behrens

4. Mai 2015. Ja, man muss es wohl einräumen: Die vor vier Jahren getroffene Entscheidung, den Modus des Stückemarkts zu verändern, hat die Qualität des Autorenwettbewerbs erhöht. Die entscheidende Neuerung, die der damals neu angetretene Intendant Holger Schultze und sein Dramaturg Jürgen Popig eingeführt hatten, war, auf das exklusive Uraufführungsrecht des Theaters Heidelberg für das Gewinnerstück zu verzichten. Seitdem ist der Weg frei für Einreichungen von Stücken, deren Uraufführung schon vergeben ist – was ja mitnichten ein schlechtes Zeichen in Bezug auf die Qualität eines Textes ist. Und auch das Gerangel mit ähnlich ausgerichteten Wettbewerben, die an einen Sieg ebenfalls eine Uraufführung knüpfen, wird vermieden.

Finale Stuema2 250 AnnemoneTaake uV.r.n.l. Juror Bernhard Studlar, Preisträger
Lukas Linder, Markus Lautenschläger,
Intendant Holger Schultze © Annemone Taake
Eine Seltsamkeit aber bringt dieser neue Modus doch mit sich: Die Texte, die im Wettbewerb vertreten sind, tauchen nun mitunter an allen möglichen Ecken und Enden auf – Stücke, die in Heidelberg reüssieren, werden auch auf anderen Wettbewerben herumgereicht, und es kommt zu kuriosen Überschneidungen. So wurde etwa just am Tag der Heidelberger Preisverleihung Stefan Wipplingers Hose Fahrrad Frau auch beim Stückemarkt des Berliner Theatertreffens in einer szenischen Lesung vorgestellt. Jan Friedrichs Szenen der Freiheit sind auch für die Berliner Autorentheatertage ausgewählt worden, dort sollen auch Lisa Engels Wunderungen durch die Mark Uckermark bis zuletzt in der Diskussion gewesen sein. Und auch das diesjährige Gewinnerstück, Lukas Linders Der Mann aus Oklahoma, kam schon mit Vorschusslorbeeren nach Heidelberg, nämlich mit einem Kleist-Förderpreis im Rücken.

Was soll's, könnte man sagen – wenn's denn der Qualitätsfindung dient. Immerhin lässt sich daraus aber auch ableiten, dass einer gar nicht so kleinen Anzahl an Preisen und Wettbewerben eine vielleicht gar nicht so große Zahl an guten Stücken gegenübersteht – und am Ende läuft es dann auf ein paar Texte pro Saison hinaus, auf die munter von den verschiedensten Richtungen aus zugegriffen wird.

Dialogisches Schreiben

In Heidelberg jedenfalls präsentierte sich diesmal – bei aller Bandbreite – ein regelrecht homogener Jahrgang. Echte Ausreißer nach unten gab es nicht, und ein klarer Favorit wollte sich – anders als in den vergangenen Jahren – auch nicht abzeichnen (nebenbei: nicht immer wurden diese Favoriten dann auch ausgezeichnet). Auffällig im diesjährigen Tableau war eine Rückkehr zur Dialogform, fünf von sechs Teilnehmern setzten darauf – und erfreulicherweise können die Dramatiker*innen auch wieder Dialoge schreiben: Die Pointen zumindest – das bewiesen die Lesungen – sitzen, das Timing stimmt. Allein Thomas Köck wartete in paradies fluten mit einer Textfläche auf, und selbst diese ist noch von Dialogen durchschossen.

Eine andere Gemeinsamkeit der Stücke liegt im Thematischen: Alle Texte reagieren mehr oder weniger auf die Unverbindlichkeiten, die eine nur noch vom Markt und nicht mehr von anderen Sinnangeboten durchwaltete Welt mit sich bringt. Ganz deutlich ist dies in Jan Friedrichs "Szenen der Freiheit", in denen junge Menschen den (nicht zuletzt sexuellen) Möglichkeitsraum ausreizen, ohne je wirklich eine Richtung zu gewinnen. Aber auch der Rückzug aufs Land der Protagonistinnen aus Lisa Engels "Wunderungen durch die Mark Uckermark", die geldlosen Tauschgeschäfte in Stefan Wipplingers "Hose Fahrrad Frau" oder der Versuch in Rebecca Schnyders Alles trennt, Kommunikationsfähigkeit ausgerechnet über die Sprache der Werbung zurückzugewinnen, zeugen von dem Wunsch, der Unverbindlichkeit eines alles einebnenden Marktes etwas entgegenzusetzen. Und im Sprachstrom von Thomas Köcks "paradies fluten" ist der Markt ohnehin ein alles beherrschendes Motiv.

Monstrositäten der Erwachsenen

Auch in Lukas Linders Der Mann aus Oklahoma kann man Spuren dieses Themas finden: Der Junge Fred trifft auf eine Erwachsenenwelt, die mit ihrer Selbstverwirklichung und mit stromlinienförmigen Zurichtungen beschäftigt ist – Fred flüchtet sich vor ihr in eine durch und durch coole Detektiv- und Heldenwelt. Wie Lukas Linder die Fantasien des Jungen auf die egozentrischen Monstrositäten der Erwachsenen prallen lässt, das ist eine hochkomische Angelegenheit. Doch, so bemerkt es der Juror und Laudator Bernhard Studlar zu Recht, "Linders Stück ist keine Schenkelklopfer-Dramatik, sondern wunderbar leicht, mit großer Liebe für seine Figuren und ihre misslichen Situationen." Ja, wunderbar leicht sind die Dialoge Linders, und in seinen so traumwandlerisch sicher gesetzten Pointen schwingen immer auch einige kleine und große Traurigkeiten mit. "Der Mann aus Oklahoma" ist daher vielleicht nicht der einzig denkbare Gewinner dieses Autorenwettbewerbs, ein hochverdienter ist er aber allemal.

Seine Uraufführung übrigens steht unmittelbar bevor: am 9. Juni bei den Ruhrfestspielen. Und, zugegeben, es wäre verdammt schade gewesen, wenn "Der Mann aus Oklahoma" nur deswegen aus dem Teilnehmerfeld des Stückemarkts herausgefallen wäre.

 

Mehr über die weiteren Preise in einem Resümee von André Mumot.

 

 

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