Phantomkontakte

von Christian Rakow

Ja, Wunderungen. Und ja, durch die Uckermark. Man muss das doppelt unterstreichen, weil der Stücktitel von Lisa Engel Fontanes alte "Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ ja auch doppelt um die Sprachspielachse dreht. Bei Fontane denkt man natürlich eher ans Ruppiner Land oder an die Havelgegend und nicht so sehr an die verwaiste Landschaft bei Prenzlau im äußersten Nordosten des heutigen Bundeslands Brandenburg. Und Wunderungen, das sind Wanderungen ins Wunderliche.

Verwunderung löst aber nicht nur der Titel dieses Dramas aus, sondern auch die Autorenzeile. Bei "Lisa Engel“ handelt es sich um ein Pseudonym; die Autorin (oder der Autor?) möchte nicht in Erscheinung treten, erklärt Nils Tabert vom Rowohlt Theaterverlag auf Nachfrage. Lisa Engel "will schlichtweg den ganzen medialen 'Rummel' nicht und vertritt radikal die Haltung: Was zählt, ist der Text und nur der Text.“

Der Rowohlt Theaterverlag hat neben den "Wunderungen“ noch zwei weitere Texte von ihr im Programm: "Die Chamäleon-Dame" (von 1995, noch ungespielt) und "Mütternacht" (1996 am Theater Basel uraufgeführt). Die Baseler Uraufführung sei seinerzeit "leider schiefgegangen", sagt Tabert, Nachspiele blieben aus. Mit den "Wunderungen" kehre Lisa Engel nun zur Theaterliteratur zurück, nachdem sie in den Jahrzehnten seit 1996 unter anderem Namen und in anderen Gattungen schriftstellerisch tätig gewesen sei.

Die abwesende "Wunderbare"

Der Alias-Name "Lisa Engel“ passt im Übrigen ganz gut zur rätselhaften, abwesenden Hauptfigur dieser "Wunderungen durch die Mark Uckermarck", die jetzt zum Heidelberger Stückemarkt eingeladen sind: Viola Miranda. Die Wunderbare (lat.) kommt namenstechnisch als Mischung shakespearescher Wasserheldinnen daher: Viola, die in "Was ihr wollt" an Land gespült wird, und Miranda, die in "Der Sturm" dem Meer entstiegen ist. Etwas Elementares (Wasser, Wind) umweht sie und wird – ohne zu viel vom Plot zu verraten – ihren Lebensweg bestimmen. Entsprechend grüßt und lockt sie mit Naturlyrik: "Habt ihr den Wald belauscht / Das Schilf am See / Die Kranichschwingen, Kranichrufe / Ihren Trompetenschrei über der Weite" etc.

Die Zeilen finden sich in einem Brief, den Viola Miranda den Protagonistinnen Felicitas und Anne bei ihrer Ankunft in der Uckermark zukommen lässt. Die Großstädterinnen wollen auf dem Lande ein altes Haus erwerben, um gemeinsam mit Viola Miranda (und von ihr finanziert) ein Kloster zu gründen. Der Ordensgeist dieser Schwesternschaft bleibt dabei betont vage: Felicitas ist ein Plappermaul auf der Flucht vor dem allwirkenden "Kommunikationsfremdbestimmungsbetrieb" unserer Zeit. Und die "schöne Anne", die schon mal als "Fotomodell“ in der Bild-Zeitung war ("Das war ne Wette"), leidet an mangelndem Selbstwertgefühl und Magersucht. Viola Miranda hat den beiden Freundinnen anscheinend die Sehnsucht nach Ruhe in der Natur eingeimpft – und etwas emanzipatorische Ahnung: "Was würde Viola Miranda an unserer Stelle tun? (…) Sie würde sich nie von ihren Gefühlen hinreißen lassen / Diesem abgelebten Weiblichkeitskonzept“. Genaueres erfährt man freilich nicht, weil die wundersame Viola Miranda selbst gar nicht auftritt.

Endlos-Schwadronage gegen "Kommunikationsrambos" und "Plappernutten"

Auf der manifesten Spielebene bietet das Stück eher routiniertes Komödienhandwerk. Während Anna und Felicitas das Anwesen in der Uckermark besichtigen, die Kaufoption diskutieren und später Umbaumaßnahmen anberaumen, rückt ihnen der leutselig mit regionalem Idiom dahertapsende Makler Bär auf die Pelle. Man hört förmlich schon beim Lesen, wie die Frauen mit glucksendem Oberton Sätze wie "Wir wissen, dass Sie mithören, Herr Bär!" auf den zudringlichen Teddy loslassen (und auf das Publikum, denn Augenzwinkern ist schon auch angesagt).

Die letzte Person im Bunde dieses Vierpersonen-Stücks ist der "Angel-Uli". Man begegnet ihm erstmals, wie er stumm und mürrisch am See hockt, während Felicitas sein Angleridyll trübt, mit einer Endlos-Schwadronage gegen "Kommunikationsrambos" und "Plappernutten" (mithin selbst in der Manier einer "Plappernutte"). Angel-Uli ist von Hauses aus Maurer, hat jüngst seinen Hund verloren, einen Teil des Hauses, das die Frauen erwerben wollen, im Grabmal für den Hund vermauert, und ist nun dazu aufgerufen, den Abriss rückgängig zu machen und dem Gebäude wieder seine "vierte Wand" einzufügen.

Der Handyempfang ist schlecht, die Bevölkerung ausgedünnt

Ein wenig vermisst man in diesen ironischen Szenenstrukturen und in den lifestylischen Volten gegen die Lebenswirklichkeit im digitalen Zeitalter die ätzende Schärfe, die eine Autorin wie Rebekka Kricheldorf solchen Komödien beizulegen vermag (man denke etwa an Alltag und Extase). "Es ist die völlig falsche Währung, wenn du / Deinen Wert bemisst nach der Anzahl / Deiner Freunde, Klicks, Phantomkontakte / Nach der Menge deiner Mails." Sätzen wie diesem von Felicitas, die sicher im Wissen um ihre Klischeehaftigkeit verfasst sind, fehlt das letzte Quäntchen Schrillheit und mediale Durchwirkung.

Auch das Bild der Uckermark, das der Text eher schemenhaft skizziert, denn in handgreiflichem Realismus entwirft, ist wenig wundersam und überraschend. In der Gegend ist der Handyempfang schlecht, die Bevölkerung ist ausgedünnt, man säuft sich die Hucke voll im "Land der verlassenen Männer", wie Herr Bär es nennt. Und die herbeitrippelnden Städter auf ihrer emomäßigen Suche nach einem Rückzugsort sind selbstredend ebenso guter Standard aus dem Regionalkenntniskatalog. Das Stück speist sich mithin aus den Idées reçues (um mit Fontanes Zeitgenossen Flaubert zu sprechen), also aus dem landläufigen Wissen, das sich mit dem seenreichen Landstrich bei Prenzlau verbindet.

Wo der Privatpanzer durch den Forst rollt

Natürlich denkt man bei der Uckermark auch an die grausame Folterung und Ermordung des Jugendlichen Marinus Schöberl 2002 in Potzlow am Oberuckersee, die Anders Veiel in seinem Dokumentarstück "Der Kick" untersucht hat. Die Geschehnisse haben ihren Teil dazu beigetragen, dass dieses "Land der verlassenen Männer" mindestens dem Gemeinplatz nach im Ruf steht, grob, bedrohlich und irgendwie primitiv zu sein (Wölfe soll es in der Gegend auch geben).

Lisa Engel greift den Rumor indirekt auf, ohne daraus handfeste Szenen zu stricken. Alles drängt in Figurenberichten aus dem Hörensagen heran. Man vernimmt, wie der Hund von Angel-Uli einst geprügelt und geschunden wurde, ehe er in den Besitz des Maurers kam. Angel-Uli, so deutet Herr Bär an, saß bereits wegen häuslicher Gewalt gegen seine Ex-Frau ein. Sein Hund wiederum, die elende Kreatur, wird eine wichtige Rolle im Verschwinden von Viola Miranda spielen. In loser Korrespondenz zu dem feenhaften Wesen der Viola Miranda geistert ein ehemaliger NVA-Offizier, "IM Forst" genannt, durch den Text, der heute mit Panzern eigene Privat-Manöver im Forst abhält (fast zwangsläufig kommt einem hier der abgehalfterte Heiner mit seiner Panzerbahn aus Dirk Lauckes Für alle reicht es nicht in den Sinn). All diese Elemente sorgen gleichsam selbst wie Phantomkontakte für Spannung, eine Aura des Verdachts, für: "suspense".

Indem Lisa Engel symbolhafte Andeutungen – den Hund, den Panzerfahrer, die ätherisch ungreifbare Naturlyrikerin Viola Miranda – an die Stelle konkreter Szenen setzt, löst ihr Text tatsächlich sein im Stücktitel gegebenes Versprechen ein. Wanderungen in eine regionale Wirklichkeit oder gar Tiefenbohrungen in die Geschichten des Ortes (wie Fontane sie vorgenommen hat) gibt es hier nicht. Stattdessen gibt es ein solide urbane Bühnenkomik versetzt mit Mythischem oder eben: Wunderlichem.

 

Lesung von "Wunderungen durch die Mark Uckermark" am zweiten Tag des Autorenwettbewerbs, Sonntag 26. April, um 13 Uhr im Alten Saal.

 

Kommentare  

#1 Wunderungen durch die Mark Uckermark: Jenseits eines Namens?Pynchon 2015-04-22 14:18
Lisa Engel, wer ist das? Jemand, der bekannt werden will im Betrieb? Sicher nicht, sonst geht man kenntlich aufs Feld. Jemand, der jenseits seines Namens ein Stück diskutiert haben möchte? Vielleicht, aber Christian Rakows Text nach zu urteilen, ist das Stück nun auch nicht so toll. Warum die Anonymität? Um den medialen Rummel zu meiden, wie Tabert zitiert wird, ist doch auch Quatsch mit einem Nachwuchstheaterstück...

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