Titanic 2.0

von André Mumot

Heidelberg, 29. April 2015. "Endlich! Ein Highlight", ruft einer der Passagiere, als irgendwann ein paar Walrücken durch die Wellen brechen. So ist das auf diesem von Rentnern und Kinderanimateuren bevölkerten Kreuzfahrtschiff, das gleichförmig in der Arktis herumschippert, wo man der Sonne beim Nichtuntergehen und den Gletschern beim Schmelzen zuschauen kann. "Titanic 2.0", sagt der geschiedene Vater, der seiner Ex-Frau (und dem Publikum) das alles per Handy berichtet: "Nur umgekehrt – diesmal sind's die Eisberge, die untergehen."

WankenundSchwanken 700 HL BoehmeDer Kreuzfahrer Jon-Kaare Koppe wartet auf Highlights © HL BöhmeDas ist so eine dieser Pointen, die aus dem Meer an Worten und Sätzen, dem gleichmäßigen Auf und Ab dieses Episodenabends hervorbrechen und an denen sich erkennen lässt, das John von Düffel nach wie vor mit geistreichen Formulierungen und Ideen zu punkten weiß. Er habe anfangs gesagt, er könne alles bearbeiten, außer seine eigenen Werke, verrät das Programmheft. Man glaubt es kaum. Der notorisch überbeschäftigte Thomas-Mann- und Spielberg-Film- und Tellkamp- und Solschenizyn-Adaptierer hat's dann natürlich doch getan und fürs Hans Otto-Theater in Potsdam drei seiner 2014 erschienen "Wassererzählungen" theatral verdichtet.

Erkundung der Langeweile

Regisseur Tobias Wellemeyer lässt diesen aktionsfreien Sprech-Geschichten dann auch allen Raum, setzt sie vor ein leeres Aquarium und überzieht nur den ersten Monolog mit einigen etwas aufdringlich geratenen Großstadtprojektionen. Gehalten wird er von jenem tragikomischen Vater, der "eine ethische Verschnaufpause einlegen" und auf besagter Kreuzfahrt in den Norden seiner kleinen Tochter näher kommen will, nur um feststellen zu müssen, dass sie ihm ebenso entgleitet wie vorher schon ihre Mutter. Jon-Kaare Koppe volksschauspielert sich mit rustikaler Bravour durch die drei Abschnitte dieser deprimierenden Erkundung tödlicher Schiffslangeweile, bei der er nicht zuletzt "Würdeneid" gegenüber der arbeitenden Besatzung empfindet und schlimmes Heimweh nach seinem alten Familienleben.

Dann gibt es aber auch noch (im schwächsten, weil seichtesten Teil) eine gestresste Personalerin (Marianna Linden), die uns ausführlich ihr Leid über ihre Teenager-Kinder klagt ("Ich hätte nie gedacht, dass wir mal Gegner sein könnten"), ihren Mann in die Pfanne haut ("In meinem nächsten Leben werde ich Vater") und am Ende mit ihrem unsichtbar bleibenden und weit jüngeren Lover darüber verhandelt, ob sie das Kind abtreiben soll, das sie von ihm erwartet.

Gediegen lebensklug

Außerdem fechten Patrizia Carlucci und eine sich in schäumende Wut hineinsteigernde, hoheitsvoll auftrumpfende Christiane Hagedorn ein erbittertes Duett aus. Als zwillingshafte Trenchcoatträgerinnen ereifern sie sich über das offenkundig unmoralische Angebot eines gewissen Dr. No, der gerne nackten Frauen gegen Bezahlung beim Schwimmen in seinem Pool zuschaut. Irgendwie geht es in der obskuren Machtprobe ein bisschen um Prostitution und Transzendenz, vor allem aber darum, dass zwei wild funkelnde Schauspielerinnen in ziemlich überkandidelter Weise auf einander losgehen.

Das alles hat im Alten Saal des Heidelberger Theaters Platz fürs gediegen Exklusive, für bürgerlich lebenskluge Von-Düffel-Betrachtungen, für das clevere Lebens-, Familien- und Kinderbeobachten, für das der Autor jedoch aus seinem schier endlosen Wort- und Satz- und Absatzvorrat schöpft. Ein bisschen wankt's, ein bisschen schwankt's in all der Geschwätzigkeit, die aufregungslos am Publikum vorüberzieht. Und hat man dann mal ein Highlight entdeckt im milden Seegang dieses Kreuzfahrtheaters ("Endlich!"), muss man viel Geduld aufbringen, konzentriert nach vorne schauen und fest dran glauben, dass irgendwann bestimmt das nächste auftaucht.

 

Das permanente Wanken und Schwanken von allem
nach den "Wassererzählungen" von John von Düffel
Gastspiel Hans Otto Theater Potsdam
Regie: Tobias Wellemeyer, Bühne: Alexander Wolf, Kostüme: Ines Burisch, Video und Musik: Marc Eisenschink, Dramaturgie: Remsi al Khalisi.
Mit: Jon-Kaare Koppe, Christiane Hagedorn, Patrizia Carlucci, Marianna Linden, Luise von Bismarck (im Video).
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.hansottotheater.de

 

 

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