Schlagende Erinnerungen

von Wolfgang Behrens

Heidelberg, 26. April 2015. Es gibt diese Theaterabende, nach denen man am nächsten Morgen erwacht und sich fragt: War da was? Und nach wenigen Tagen hat man sie komplett vergessen. Bei dem als Brachialaufklärer berüchtigten Regisseur Volker Lösch ist das im Allgemeinen anders, und bei seinen Bonner "Waffenschweinen" im Besonderen sowieso: Die Bilder von diesen acht Burschenschaftlern, die sich auf ihrer "Kneipe" nach festen Regeln und einem drakonischen Strafenkatalog in den totalen Kontrollverlust saufen, bis sie als dionysischer Nacktchor johlend durch Pfützen aus Bier und Erbrochenem rutschen, schüttelt man nicht mal eben ab.

Auch in einigen Jahren wird man auf diese Szenen referieren können: "Weißt Du noch, damals in Heidelberg, die Bierorgie bei Volker Lösch?" Auf eine fast unheimliche Weise trifft Lösch damit freilich auch die eigentliche Funktion des Kneipenrituals: Wenn Sophie Basse als zopf- und schildbewehrte Germania, die den "Füchsen" im ersten Teil der Inszenierung zu Wehrsport, Exerzierübungen und desavouiertem Liedgut ("Argonnerwald! Argonnerwald! Ein stiller Friedhof wirst du bald!") eine Lehrstunde im studentischen Verbindungswesen erteilt, ihre Eleven in den Burschenstatus entlässt, tut sie dies mit der Aufforderung: "Schafft Erinnerungen!" Der Zusammenhalt im Grunde aller männerbündlerischen (und wohl auch anderer) Vereinigungen beruht auf so einem gemeinsamen Erinnerungsreservoir, das an Kneipenabenden oder auch auf dem Paukboden und bei Mensuren mit aller Macht und geradezu zwanghaft gebildet wird.

Faszination und Entlarvung

Man könnte sich hier wie auch bei anderen Volker-Lösch-Aufführungen fragen: Ist das noch Aufklärung, oder ist das schon Denunziation? In "Waffenschweine" – entwickelt auf der Grundlage von Interviews, die die Autorin Gesine Schmidt mit Verbindungsstudenten geführt hat – können die Zuschauer selbst entscheiden: Lösch kondensiert die Rituale zwar äußerst wirkungsvoll und mit präzisem Sinn für chorische Komik, aber er stellt die Bräuche auch sehr genau dar. Was die einen noch fasziniert (was muss das für ein Spaß sein!), hat sich für die anderen längst selbst denunziert.

Waffenschweine2 700 Thilo Beu uAusgerutscht auf Blut, Boden und Bier: Volker Löschs "Waffenschweine" © Thilo Beu

Lösch und Gesine Schmidt erzählen an diesem Abend auch von den Motiven, sich einer studentischen Verbindung anzuschließen: das Eintauchen in ein geregeltes Netzwerk, das größer ist als man selbst, das Generationen übergreift, sich auf jahrhundertealte Traditionen berufen kann und in Grundrissen bereits die ganze Lebensbahn vorzeichnet, nicht zuletzt die berufliche Karriere. Man kann das als völlig unzeitgemäß belächeln; das Bedürfnis vieler Menschen nach solchen festen, vermeintlich sinnstiftenden Strukturen ist aber kaum wegzuleugnen. Selbst der Zulauf zum "Islamischen Staat" dürfte Beweggründen solcher Art geschuldet sein.

Grausen der Alten Herren

Äußerlich folgt die Aufführung mit ihrem achtköpfigen, wuchtig-druckvollen Jungmannen-Chor der Laufbahn eines Korpsstudenten, vom Fuchs über den Burschen bis zum Alten Herren. Parallel rollen Lösch und Schmidt aber auch die Geschichte der Burschenschaften auf: Und spätestens hier wird's dann – Bier hin oder her, rein oder raus! – doch recht ungemütlich. Zwar werden bis heute immer wieder die liberalen Anfänge des Verbindungswesens besungen, doch die jüngste Historie hat nicht zuletzt einen Burschenschaftler neuen Typs hervorgebracht, der von Beginn an in der rechtsradikalen Szene sozialisiert ist und seine Sache nun in die studentischen Verbindungen trägt. Manch Alter Herr, so vernimmt man's bei Lösch, windet sich da mit Grausen. Es gibt halt auch Dinge, an die möchte man lieber nicht erinnert werden! Die "Waffenschweine" aber wird man so bald nicht vergessen.

 

Waffenschweine
Ein Theaterprojekt über schlagende Verbindungen von Nicola Bramkamp und Volker Lösch nach dem Dokumentarstück "Bier, Blut und Bundesbrüder" von Gesine Schmidt
Gastspiel Theater Bonn
Regie: Volker Lösch, Bühne und Kostüme: Cary Gayler, Licht: Helmut Bolik, Musik: Johannes Winde, Dramaturgie: Nicola Bramkamp.
Mit: Sophie Basse, Benjamin Berger, Samuel Braun, Daniel Breitfelder, Glenn Goltz, Benjamin Grüter, Robert Höller, Jonas Minthe, Hajo Tuschy.
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause
www.theater-bonn.de

 

 

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