Der Stachel im Fleisch

von André Mumot

Heidelberg, 30. April 2015. Nun gibt es also doch noch so etwas wie Irritation, eine Performance, die beim Stückemarkt-Publikum eine spürbar gereizte Ungeduld hervorruft, bei einzelnen Besuchern vielleicht auch Widerwillen. Weil der Schauspieler Laurenz Leky auf einem Beförderungsband herumturnt und etwas über Afrika erzählt. Weil er die Worte von anderen spricht, Recherchematerial doziert und dann doch immer wieder "Ich" sagt. Weil er salbadert und nervt. Weil er ins Publikum springt, sich einen Lippenstift ausleiht und dann nicht  gerade pfleglich mit ihm umgeht. Weil er Theater macht und dann irgendwie doch nicht. Weil er was zu sagen hat, aber das, was er zu sagen hat, nicht vernünftig und nachvollziehbar sortiert. Weil er auch nicht verkündet: Damit identifizieren wir uns jetzt alle mal schön, dann stehen wir wenigstens gemeinsam auf der richtigen Seite.

Ungefiltert, roh, voller Details
Für ihr Dokutheater "Kongoland" hat Regisseurin Nina Gühlstorff mit Ex-Pats und Entwicklungszusammenarbeitern gesprochen, zu denen übrigens auch Leky selbst gehört, und hat deren Aussagen für das Stuttgarter Theater Rampe zu einem breit angelegten, komplizierten Essay verarbeitet, der dann wiederum vom Protagonisten zur schamlosen Impro-Show ausgebaut wird. Es ist damit geradezu ein theatraler Gegenentwurf zur ironisch poetischen Kolonialismuskritik in der Burgtheaterproduktion Die lächerliche Finsternis, die auch in Heidelberg große Bewunderung hervorgerufen hat.

Kongoland 700 ThomasRustemeyer uLaurenz Leky bei seiner Suada © Thomas Rustemeyer

Wo sich im Wolfram-Lotz-Abend große szenische Inszenierungsperfektion in den Dienst eines Stückes stellt, in dem es um unsere Projektionen einer fremden Welt geht, und in dem der Autor gewitzt betont, dass er nichts von dem, worüber er schreibt, aus eigener Anschauung kennt, die Anschauungen selber also zum Thema macht, hageln hier überkonkrete Erfahrungsberichte auf das überforderte Publikum ein: Ungefiltert, roh, voller nachvollziehbarer Details und streitbarer Aussagen. So real und komplex erscheinen die Geschichten vom allgemeinen Chaos, von der angeblichen Unterwürfigkeit der Afrikaner, dass man sich schnell nach Einordnung sehnt. Sinnvolles Gutmenschentum und Zynismus sind nie zu trennen,  aus pragmatischen Helfern werden plötzlich arrogante Kolonialherren, und eine unangenehme Hilflosigkeit gegenüber den Zuständen im "Kongoland“ macht sich breit. Ist die Armut das größte Problem? Der Hunger? HIV? Nein, sagt Leky. Die ewigen Streitereien über die frei umherlaufenden Haustiere. Aha.

Man sehnt sich nach einer Ordnung

Vor allem aber stellt der Performer sich selbst in Frage, sein blondes, heterosexuelles Wohlstands-Ich, erklärt sein Engagement aus einer Jugend ohne Reibungsfläche: "Was macht man, wenn man orientierungslos und privilegiert ist? Man geht nach Afrika!" Es ist eine zermürbende, ja, bisweilen ärgerliche Selbstdarstellung, die vor allem gegen Ende völlig auszufransen beginnt, wenn er einzelne Zuschauer Aussagen von Afrikanern vorlesen lässt, die eine "Rekolonialisierung" fordern, nur um im nächsten Augenblick anklagend darzustellen, wie wenig Hilfe in der Entwicklungshilfe tatsächlich zustande kommt, wie viel Arroganz und westliche Bereicherung in dem gutgemeinten, bürokratisch durchorganisierten Aktionismus noch immer mitschwingt.

Man sehnt sich unwillkürlich nach einer Ordnung, nach der gut bekömmlichen Ironie von Wolfram Lotz, überhaupt nach einer klareren Weltsicht (der böse Westen, die ausgebeutete Kolonie), an der man nickend festhalten könnte. Stattdessen muss man erleben, wie Leky sich splitterfasernackt macht, wie er hadert und immer wieder in endlos dahinmäandernden Erlebnisberichten seine eigene Ohnmacht und den Sinn oder Nichtsinn von Entwicklungshilfe insgesamt umkreist, Kleider- und Zwiebelpakete vom Laufband reißt, einzelne Zuschauer oberlehrerhaft anfährt ("Darf ich mitlachen?") und partout kein ordentliches, kompetentes, wohlgeformtes oder auch nur angemessenes Theater machen will. Es mag nicht schön sein, dieses ungebändigte, alle Klarheiten vernebelnde Solo, sogar sehr frustrierend, gewiss aber ein nötiger Stachel, der am Ende, wenn man endlich raus darf aus dem Theaterzwinger, ziemlich fest sitzt im eigenen Fleisch.

 

Kongoland
von Nina Gühlstorff, Laurenz Leky, Thomas Rustemeyer
Eine Koproduktion von Theater Rampe Stuttgart und Nyx e. V.
Regie: Nina Gühlstorff, Bühne und Kostüm: Thomas Rustemeyer, Dramaturgie: Martina Grohmann
Mit: Laurenz Leky
Dauer: ca 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.theaterrampe.de

Kommentar schreiben

Sicherheitscode
Aktualisieren